Der Narrative Ansatz nach Michael White beschäftigt sich mit der Geschichte, die wir über uns erzählen. Man könnte sagen: Der Mensch ist die Geschichte, die er erzählt.
Für mich hat sich mit meiner Weiterbildung in Narrativer Therapie noch einmal eine neue Welt für die Betrachtung des Lebens und die Behandlung von Menschen mit Problemen aufgetan. Für mich ist dieser Therapie-Ansatz eine hervorragende Ergänzung zu dem von mir bisher bevorzugten sehr ressourcenorientierten (d.h. stärkenden) hypnosystemischen Ansatz.
Es ist ein Gesprächsansatz, der hauptsächlich im Bereich der sozialen Arbeit mit schwer traumatisierten Menschen entwickelt wurde.
Menschen leben in Narrativen
Menschen, die in eine Praxis kommen, haben meist nicht nur eine lange Leidensgeschichte im Gepäck, sondern auch sehr viel Erzählstoff dazu, d.h. viele einzelne Situationen und Gründe, die dieses Leiden ausmachen, und oft auch einige Erklärungen dazu.
Narrative bestimmen aber nicht nur das Leben von Patienten, jeder von uns lebt sein leben sozusagen in Geschichten.
Wir sind, was wir uns und anderen erzählen
Haben Sie auch schon einmal verwundert festgestellt, dass Sie einem bestimmten Menschen eine ganz bestimmte Seite von sich zeigen, indem sie dort nur ganz bestimmte Geschichten über sich erzählen? Vielleicht stellen Sie sich dort als jemand dar, der viel schlimmes erlebt. So dass vielleicht sogar schonmal jemand zu Ihnen sagte: Du jammerst ständig!
Doch auf der Arbeit z.B. berichten Sie nur über Ihre Erfolge.
Und natürlich werden Sie von der ersten Person völlig anders wahrgenommen als von den Menschen auf der Arbeit.
Das erscheint sehr logisch zu sein. Doch vielleicht ist Ihnen bei genauerer Selbstbeobachtung auch schon einmal aufgefallen, dass Sie sich auch anders fühlen, wenn Sie eine Zeit lang alle schlimmen Geschichten erzählt haben. Anders als auf der Arbeit, wo Sie vielleicht deutlicher Ihre eigene Kompetenz spüren können. Es hat also auch auf Sie selber eine Wirkung, mit welchen Geschichten Ihres Lebens Sie sich gerade beschäftigen.
Dabei geht es nicht darum, dass die einen Geschichten besser und die anderen schlechter sind. Es geht aber darum, sich zu vergegenwärtigen, dass es immer noch viel mehr gibt, als das, was man gerade in diesem Augenblick erlebt. Denn jede Erzählung führt dazu, dass man eine andere gerade nicht erzählen kann. Zu theoretisch?
Stellen Sie sich vor, wie Sie gerade von einer Situation erzählen, in der Sie sich sehr hilflos erlebt haben. Trotzdem gibt es auch andere, in denen Sie sich sehr kompetend verhalten haben, aber in dem Moment, in dem Sie erzählen, spüren Sie nur Ihre Hilflosigkeit. Und wahrscheinlich werden Ihnen auch sofort noch andere Geschichten aus Ihrem Leben einfallen, in denen Sie sich auch sehr hilflos gefühlt haben. D.h. eine Geschichte zieht andere nach sich. Und schon erlebt man sich als eine hilflose Person.
Die Geschichte, die andere über uns erzählen
Besonders unangenehm ist es, wenn andere einem erzählen, wie man so ist – oder noch besser, wenn Sie es z.B. Bekannten erzählen, und diese Geschichte dann wieder bei einem landet.
Bsp: Die Nachbarin erzählt dem Nachbarn, dass ich mich geweigert habe, Geld bei einer Spendensammlung beizusteuern. Sie erzählt auch noch weitere ältere Geschichten, aus denen sie insgesamt dann schlussfolgert, wie geizig ich bin. Und der Nachbar erwähnt dann irgendwann mir gegenüber, dass sie erzählt hat, dass ich geizig bin. Das ist kein schönes Gefühl! Das möchte keiner über sich hören. Und doch passiert das immer wieder.
Narrative Therapie
In der narrativen Therapie geht es darum, zu betrachten, wie sich die eigenen Geschichten und die Geschichten anderer über einen selber auf den Menschen und sein Leben auswirken. Das Ziel ist es, die eigene Lebensgeschichte so zu erzählen, so dass sie sich stärkend auswirkt und Mut macht – statt einen wie bisher zu schwächen und einem das Selbstbewusstsein zu rauben.
Fallbeispiel einer hypnosystemisch-narrativen Therapie
Ich habe kürzlich mit einer Frau gearbeitet, deren Leben völlig verworren und sie völlig hilflos darin schien. Es gab eine kürzliche Trennung, Probleme mit dem Chef, mit der Wohnung, der Arbeit und ein Gefühl von völliger Überforderung. Sie war aus diesem Grund sogar schon krank geschrieben.
Wir gingen das ganze dann Stück für Stück durch – im Sinne eines narrativen Therapieansatzes. Sie stellte die einzelnen Bestandteile bildlich dar, während sie mir ihre Lebensgeschichte erzählte. So wurden plötzlich andere Komponenten sichtbar, die sie bisher noch nicht in diesem Zusammenhang gesehen hatte.
Sie sah plötzlich eigene Fähigkeiten, die sie vorher noch nicht in diesen Zusammenhängen spüren konnte. Und musste auf einmal sogar lachen über die Schwierigkeiten mit ihrem Chef, die sie vorher so bedrückt hatten. Sie konnte sich sogar plötzlich in seine Situation und Sichtweise hineinversetzen.
Am Ende der Sitzung erschien sie viel kraftvoller und selbstsicherer. Ich freute mich sehr für sie.
In schwierigen Zeiten wieder Stärke entwickeln
Das ist es, worum es geht: wieder Zugang zu bekommen zu den eigenen Kräften, für die man manchmal einfach blind ist, wenn alles über einem zusammenzuschlagen droht. In schwierigen Zeiten wieder neue Stärke zu entwickeln um sich den Abenteuern des Lebens stellen zu können.
Es ist ganz normal, dass wir solche hilflosen Situationen im Laufe unseres Lebens erleben. Und meistens kommen wir damit auch alleine klar. Doch manchmal ist einfach alles nur zu viel. Und dann geht es aus hypnosystemischer und narrativer Sicht darum, einen Begleiter zu finden, der einem dabei hilft, wieder neue Fäden in seinem Leben zu spinnen.